MOTUSNEU + Steve Swell
"War der Clown gar nicht echt?"
Reviews
Der Leipziger Saxer Bruno Angeloni, Stephan Deller, aktueller Gewinner des Jutta Hipp Preises, am Kontrabass (wie auch bei Perplexities On Mars und der Leipziger Formation Space Schädel) und Steffen Roth, der seine Drums & Cymbals mit Olaf Rupp in Exotherm und mit Angeloni auch in Spirale und Prozessor spielt, die sind zusammen MOTUSNEU. Nach „Ospedale“, ihrem Debut, haben sie sich für War der Clown gar nicht echt? (Boom 1405, LP) mit STEVE SWELL und seiner Posaune verstärkt. Wobei hinter dieser Frage weitere lauern, große wie „Ist meine Dummheit ein warmer Mantel?” oder „Bin ich der Schlafsack meiner Seele?” und kleinlaute wie „Findet mich das Glück?” So haben die Schweizer Künstler Peter Fischli und David Weiss 2003 gefragt. Und dieses 'Leipziger' Allerlei-4tet benagt den Knochen, mit dem Biss der New York Art und Berlin Art Quartets. Mit raukehliger Feuerspuckerei, Flatterzüngelei, quiekender Insistenz, röhrend gepresstem Dampf, kratzigen Strichfolgen, plonkigem Gemurmel, klapperndem, kollerndem Schlaghagel. Als hätte Captain Picard „Energie!“ kommandiert, setzen Geheul ein, Pollock'sche Action in gezackten Kratzern und scheppernden Spritzern, aber auch kleinlaut gedämpfte Laute und hoppelige Tupfen. Fortgesetzt in druckvollem, blubbrig stagnierendem und grummelndem Drang, Gewusel auf pelzigen Pfoten, krähenden und schrillenden Rufen, brummigen und krächzenden Lauten, verhuschter Bruitistik in pp. Tonloses Floppen, perkussives Rascheln und Knistern kommen sogar noch leiser daher. Doch angeraute Kakophonie und die Stöckchen stöchern weiter nach des Clownes Kern. Trommelwirbel und Feuer unterm Arsch versuchen als hitzige Fire Music das Glück zu locken, zu nötigen, zu schmieden. Dem kleinlauten Ende nach, vergeblich. [BA 129 rbd

Aus dem Norwegischen Übersetzt:
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Das Trio **Motusneu** stammt aus Leipzig und ist ein relativ frei agierendes Trio, bestehend aus dem Saxophonisten **Bruno Angeloni**, dem Bassisten **Stephan Deller** und dem Schlagzeuger **Steffen Roth**. Seit 2024 touren sie gemeinsam mit dem Posaunisten **Steve Swell**, und die Veröffentlichung **War der Clown gar nicht echt?** ist eine Quartettaufnahme, die aus der Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Posaunisten hervorgegangen ist.
**Steve Swell** ist ein bekannter Name für die meisten, die der neueren frei improvisierten Jazzszene folgen. Er kann auf einen umfangreichen Lebenslauf zurückblicken, mit Zusammenarbeiten mit Musiker*innen wie **Herb Robertson**, **Jemeel Moondoc**, **William Parker**, **Hamid Drake**, **Paal Nilssen-Love**, **Barry Altschul**, **Per-Åke Holmlander**, **Tim Daisy**, **Marshall Allen** und vielen weiteren.
Auf der neuen Veröffentlichung ist klar zu hören, dass die drei Swell von Anfang an Raum zur Entfaltung gelassen haben. Denn er übernimmt zusammen mit dem Bass die Führung, bevor der schneidende Saxophonton von **Bruno Angeloni** mit kraftvollen „Kommentaren“ einsetzt. Die Stücke tragen die Titel „7“, „3“, „1“, „8“, „4“, „6“, „5“ und „2“, und ob es nun Swell ist, der als Clown gilt, der sich in die Trioarbeit einmischt, bleibt offen. Dass er sich jedoch einmischt, steht außer Frage.
Die acht Stücke/Improvisationen gehören zu jener Art von Musik, die man am besten im Moment und im Entstehungsprozess erlebt. Aber auch auf Vinyl lässt sich die Musik sehr gut genießen. Denn dies ist energetischer Free Jazz, bei dem das Trio losstürmt, während **Swell** versucht, dem Ganzen eine gewisse Struktur zu verleihen. Und das gelingt ihm meiner Meinung nach sehr gut. Wäre es nur das Trio gewesen, hätte die Energie und das Freie beinahe zu viel des Guten sein können – doch mit **Swell** an Bord fühlt es sich an, als käme „Ordnung ins kreative Chaos“.
Für all jene von uns, die ein Faible für frei agierende Musik haben, bei der Energie eine gemeinsame Triebfeder ist, ist dies eine hervorragende Veröffentlichung, die man auf volle Lautstärke drehen kann – und die Nachbarn einfach Nachbarn sein lässt, während man sich selbst an der Wiedergabe erfreut. Denn es passiert eine außergewöhnlich spannende Improvisation zwischen diesen vier exzellenten Musikern. **Roh, heftig, energiegeladen und kraftvoll** – Musik in bester europäischer Free-Jazz-Tradition.